Und trotzdem der ungebrochene Wille zur eigenständigen Gestaltung der Zukunft
Warum der Südsudan nicht aus den negativen Schlagzeilen gerät...
Die Geschichte: vor etwa 200 Jahren ab 1821 begann die fortschreitende Eroberung des Sudan durch Ägypten. Diese war begleitet von zunehmender Sklavenjagd auf die schwarze Bevölkerung im Süden. Unvorstellbare Grausamkeiten wurden hier begangen. Heute noch gibt es im Dinka-Stamm den Begriff des „spoiling of the world“, wenn man über diese Zeit spricht. Die arabischen Sklavenjäger wüteten bis in die 1870er - Jahre mit außerordentlicher Brutalität. Erst nachdem Ägypten aufgrund eines Staatsbankrotts 1875 unter englische Herrschaft geraten war, wurde der Sklavenhandel 1877 verboten. Unter der Herrschaft der legendären antikolonialen Mahdi–Bewegung in den 1880/90er Jahren, welche die Engländer aus dem Sudan verdrängt hatten, blühte der rege Sklavenhandel wieder auf. 1899 beendeten die Engländer in der Schlacht von Omdurman die Herrschaft der Mahdisten. Der Sudan wurde eine englische Kolonie und in zwei Verwaltungszonen aufgeteilt: die arabisch-islamische Nordregion und der schwarzafrikanische Südbereich. Nicht nur der Sklavenhandel wurde wieder verboten, sondern auch der gesamte Handel zwischen der Südregion und dem arabischen Norden wurde unterbunden. Die Kolonialherren begannen vorwiegend den arabischen Norden zu entwickeln und auszubauen, der schwarze Süden sollte hingegen als „Naturmuseum“ konserviert werden. In die Entwicklung Stammesgemeinschaften und der Infrastruktur wurde nahezu nichts investiert. Damit geriet die südsudanesische Bevölkerung in einen uneinholbaren, fatalen Entwicklungsrückstand gegenüber dem arabischen Norden.
Zuerst versklavt, dann ihrer Entwicklungmöglichkeiten beraubt, versteht sich die Aversion der Südsudanesen gegen die arabischen Herrscher im Norden von selbst.
Als um die Mitte des 20. Jahrhunderts im Zuge der Dekolonialisierungsbewegung auch der Sudan unabhängig werden sollte, erwog man eine Aufteilung des sudanesischen Gebietes gemäß den englischen Verwaltungszonen in einen arabischen Staat und eine schwarzafrikanische Südregion, welche an die damalige Kolonie British-Ost Afrika (Kenia und Uganda) angeschlossen werden sollte. Auf der Juba-Konferenz 1947 (benannt nach der heutigen Hauptstadt des Südsudan) sollte nun dieser Plan umgesetzt werden.
Doch während der Verhandlungen kam es zu einer völligen Kehrtwendung: entgegen allen Erwartungen wurde der Südsudan dem arabischen Norden zugeschlagen und der Regierung in Khartum politisch unterstellt. Ausschlaggebende Momente dieser Kehrtwendung dürften die Rebellenaktivitäten in Kenia und Uganda und auch die Befürchtung, dass sich der arabisch-islamische Staat im Norden im kalten Krieg auf die Seite der Sowjetunion schlagen könnte, gewesen sein. Die schwarz afrikanische Südregion sah sich komplett verraten und an die ehemaligen Sklavenhändler ausgeliefert.
Noch vor der Unabhängigkeit des Sudan 1956 begann im August 1955 ein Aufstand gegen die arabische Vorherrschaft. Der erste Sezessionskrieg folgte. Diktator Jaafar El Numeiri beendete diesen Krieg 1972 mit der Unterzeichnung des Addis Abeba – Friedensvertrages. Die darauf folgende Autonomie brachte 10 Jahre Frieden und gemächliche Entwicklung für den Süden des Sudan. Ende der 1970er – Jahre erstarkte die Bewegung der Muslimbruderschaft im Nordsudan immer mehr und setzte 1983 die Einführung des islamischen Rechtes (Sharia) im gesamten Sudan bei Diktator Numeiri durch. Dies bedeutete auch das Ende der Autonomie der Südregion.
Die Folge war eine Meuterei von Armeesoldaten in der Stadt Bor, die in der Gründung der SPLA („Sudanesische Volksbefreiungsarmee“) mündete. Ihr führender Kopf wurde Dr. John Garang. Die Folge war ein erneuter Bürgerkrieg, der mit äußerster Grausamkeit geführt wurde. Bis 1989 kämpfte die SPLA gemeinsam gegen die Armee des Nordens und brachte fast den gesamten Südsudan unter ihre Kontrolle. Ab 1989 kam es zu einer Aufsplitterung der SPLA. Von da an bekämpften sich auch die einzelnen Fraktionen der SPLA selbst mit unerbittlicher Härte. Die internen Kämpfe verliefen meist entlang der Trennlinien zwischen den einzelnen Stammesgemeinschaften und forderten mehr Tote als der Kampf gegen die Armee aus dem Norden. Befeuert wurden die Kämpfe zusätzlich durch gezielte Waffenlieferungen der Regierung in Khartum an bestimmte Stämme, die natürlich ein Interesse daran hatte, dass sich die Kriegsgegner im Süden selbst bekriegten. Die damaligen Konfliktlinien bestehen auch heute 30 Jahre später noch.
Da im Südsudan große Erdölvorkommen entdeckt worden waren, kam es 2005 vor allem auf Drängen der USA zur Unterzeichnung des CPA (Comprehensive Peace Agreement) in Naivasha/Kenia. Damit wurde ein Schlussstrich unter eine 50-jährige Kriegsgeschichte gezogen, und nach einer sechsjährigen Übergangsfrist ein Unabhängigkeitsreferendum vereinbart. Mit 99,7% Zustimmung wurde der Südsudan am 9. Juli 2011 ein unabhängiger Staat.
Eine hoffnungsvolle Entwicklung schien zu beginnen. Doch der interne Konflikt der Stammeseliten von früher war immer noch da. Hauptrivalen waren bzw. sind noch immer der gewählte Präsident Salwa Kir vom Stamm der Dinka und sein Vizepräsident vom Stamm der Nuer.
Ein neuerlicher Bürger Krieg flammte im Dezember 2013 auf, als der Präsident die Nuer- Sicherheitsleute aus der Präsidenten-Garde entfernen wollte. Unzählig sind erneut die Massaker, die in diesem Krieg an der Bevölkerung von beiden Seiten angerichtet werden. Zeitweise war die Hälfte der Zivilbevölkerung im Lande auf der Flucht, 2 Millionen flohen in die benachbarten Staaten, die meisten nach Uganda (über 1,2 Millionen). Es brauchte drei Anläufe, bis endlich am 27. Juni 2018 ein Waffenstillstand erreicht wurde und am 18. September 2018 ein Friedensvertrag unterzeichnet wurde. Schließlich konnte nach langem Tauziehen um die Machtverteilung im Land im Februar 2020 wieder eine Einheitsregierung aus den beiden Konfliktparteien gebildet werden.
Seither sind die meisten Konflikte zwar verstummt, aber es gibt noch immer viele lokale Rebellenführer, die Gräueltaten anrichten, und die Waffendichte in der Zivilbevölkerung ist immer noch sehr hoch. Die Entwaffnung der Milizen und Privatpersonen ist eine der größten Herausforderungen, der sich die gegenwärtige „Regierung der nationalen Einheit“ stellen muss.
Was das Land jetzt braucht…
Oberste Priorität hat die Sicherheit im Lande. Zu lange herrschten Krieg und Unsicherheit, zu viele Bedrohungen von Leib und Leben. Ein Staat, der seine Bürger nicht vor unbefugten Übergriffen schützen kann, kann sich nicht entwickeln. Die vielen Milizen müssen entwaffnet werden, ebenso die zahlreichen privaten Waffenbesitzer. Das ist nicht einfach, denn oft bedeutet Besitz einer Waffe Macht und Einkommen. Entwaffnung bedeutet Einkommensverlust und Existenzgefährdung. Da die meisten Milizsoldaten auch Familien haben, muss es Kompensationen und alternative Zukunftsperspektiven für jeden von Ihnen geben. An der Garantie der persönlichen Sicherheit hängt fast alles.
Gleichzeitig mit der Entwaffnung der Menschen muss die Frage der Aufarbeitung der Kriegsverbrechen und der Verantwortung der Täter vor den Gerichten angegangen werden. Gleichzeitig muss auch ein nationaler Versöhnungsprozess in die Wege geleitet werden. Der Friede ist nicht nur eine Sache für die oberen politischen Gremien, sondern auch für die einzelnen Bürger in den Dörfern und vor allem auch eine Angelegenheit der Beziehungen zwischen den Dörfern. Auch da müssen tragfähige Friedensstrukturen her.
Das zweite wichtige Moment ist die Ernährungsautonomie. Die Menschen müssen in die Lage versetzt werden, für sich selbst zu sorgen. Der Südsudan ist ein fruchtbares Land, das über genügend landwirtschaftliche Ressourcen verfügt. Doch über 50 Jahre Krieg und Unsicherheit haben vernünftiges Wirtschaften unmöglich gemacht. Wenn zur Zeit der Aussaat Krieg herrscht, wird man nicht pflanzen können. Wenn das über Jahrzehnte hinweg geschieht, geht obendrein das traditionelle landwirtschaftliche Wissen verloren und die Menschen müssen neu geschult werden.
Die dritte Sache, die anzugehen ist, sind Bildung und Berufsbildung. Dabei ist wichtig, dass beides bedarfsorientiert angeboten wird. Es bleibt zu fragen, welche Bildungsstandards brauchen die Menschen vor Ort wirklich, um mit ihrem täglichen Leben besser zurecht zu kommen. Ebenso ist es bei der Berufsausbildung. Welche beruflichen Qualifikationen sind den Entwicklungsanforderungen des Landes gemäß zu vermitteln? Und kann man dann von der erlernten Qualifikation auch den Lebensunterhalt bestreiten?
Ein weiterer wesentlicher Punkt ist der Aufbau eines nachhaltigen medizinischen Versorgungssystems. Damit meine ich nicht ein System, wie es in Europa etabliert ist. Das würde unfinanzierbar sein. Es geht um das Ausschöpfen lokaler medizinischer Ressourcen, wie zum Beispiel den Anbau von Heilpflanzen, die im Land verfügbar sind. Eine hohe Bedeutung kommt dabei der medizinischen Schulung der lokalen Gemeinschaften zu, die diese Medikamente dann effizient einsetzen können. Ich denke dabei zum Beispiel an sehr wirksame herbal–medizinische Produkte gegen Malaria und andere Infektionskrankheiten.
Von außerordentlicher Wichtigkeit ist auch die Entwicklung und Förderung einer Kleingewerbestruktur. Die Menschen müssen von ihrem kleinen Handel leben können. Selbst erzeugte Produkte aus Landwirtschaft und Handwerk sind die Basis einer nachhaltigen Wirtschaft. Sie heben auch das Beschäftigungsausmaß. Außerdem ist dieser mikrostrukturelle Handel wesentlich weniger krisenanfällig.
Eine grundlegende makrostrukturelle entwicklungspolitische Maßnahme stellt der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur dar. Die frühere Lebensader der Nilschifffahrt muss wieder belebt werden. Wichtig ist auch der Ausbau eines stabilen Transportwegesystems zur Förderung der Infrastruktur am Land.
Die Projekte von ProSudan im Südsudan
Der Verein ProSudan unterstützt gegenwärtig 4 Projektschwerpunkte im Südsudan:
Wir finanzieren die Komplettrenovierung und den Neubau von Schulklassen der diözesanen St. Theresia Grundschule in der Hauptstadt Juba. Die Schule hat 8 Schulstufen und wird von fast 3000 Schulkindern besucht.
Das Gemeinde-Entwicklungszentrum St. Vincent de Paul liegt ebenfalls in der Hauptstadt Juba. Hier werden Jugendliche in sieben verschiedenen Berufen ausgebildet. Wir konnten hier eine Hydraform-Profilziegelproduktionsmaschine mit Hilfe des Landes Oberösterreich finanzieren, mit der kostengünstig und ressourcenschonend Ziegel bester Qualität produziert werden können. Unter Verwendung der Erde vor Ort und besonders wenig Zement können hier Ziegel bester Qualität hergestellt werden. Da es sich um Profilformziegel handelt, können Bauten ohne die Verwendung von Mörtel errichtet werden. Die Kostenersparnis bei einem Gebäude beträgt ca. 30% gegenüber herkömmlicher Bauweise. Ebenso konnten wir einen Teil der Ausrüstung für eine Metaller-Lehrwerkstatt bereitstellen. Der ehemalige Lehrling der Berufsschule Attnang, Sebastian Demuth, nahm die Schweißanlagen in Betrieb und schulte die einheimischen Fachkräfte ein. Der großartige Effekt der Berufsausbildung ist, dass 70% der Fachleute hinterher einen Job bekommen bzw. mit ihrer Qualifikation ein Kleingewerbe beginnen können.
St. Vincent betreibt auch eine achtstufige Grundschule. Unsere Volontärin Anna Holl hat hier vor einigen Jahren mit dem Aufbau begonnen. Heute werden bereits 2000 Kinder beschult. Außerdem unterstützten wir die Organisation bereits mit der Beschaffung von zahlreichen MIVA-Fahrzeugen.
Im Herzen des Südsudan liegt die Stadt Rumbek. Wir konnten dort ein Frauenbildungszentrum finanzieren. Die Frauen lernen hier lesen und schreiben, und bekommen Berufsausbildung in Nähen, Hauswirtschaft, Erste Hilfe und dem Friseurberuf. Die Aktivitäten des Frauenbildungszentrums erreichen ca. 10 Dörfer in der Umgebung von Rumbek. Frauenbildung ist deshalb so wichtig, weil in Nomadengesellschaften die Frauen die einzigen sind die stationär an bestimmten Orten bleiben und die Kinder versorgen. So laufen Bildung, Berufsbildung und Entwicklung hauptsächlich über die Schiene der Frauen. Sie sind es auch, die ihr Wissen an die nächste Generation weitergeben und über die Kindererziehung nachhaltige gesellschaftliche Veränderung bewirken.
In Rumbek ist noch ein anderer Bereich interessant: Dort konnten wir in Kooperation mit dem Verein Bahati Sasa von den Waldviertler Schuhwerkstätten die Anlage einer 3,5 ha großen Farm finanzieren, die der Versorgung des angrenzenden Dorfes dient. Wegen der vielen Nomadengruppen, die ihr Vieh überall weiden lassen, musste die Anlage eingezäunt werden, um eine gedeihliche ackerbauliche Produktion für das Dorf Nyancot zu gewährleisten. Die Farm wird von der Dorfgemeinschaft in kooperativer Form genutzt. Ein Erntespeicher lagert einen Teil der Ernte ein, damit er während der Trockenzeit als Nahrungsmittellieferant dienen kann.
400 km östlich von Juba liegt das Friedensdorf von Kuron. Dieses große humanitäre Entwicklungszentrum wurde von dem im Land überaus populären UNO-Friedenspreisträger Bischof Taban Paride gegründet. Für diese Region konnten wir einen 15-Tonnen-Merzedes-Kipper-Lastwagen zum Ausbau des dortigen Straßennetzes bereitstellen. Als Bischof Taban im Jahr 2004 das Kuron-Friedensdorf gründete, gab es in diesem Gebiet noch keinen Transportweg. Der Bischof selbst legte mit seinen Leuten die 200 km lange Straße von der kenianischen Grenze zum Friedensdorf an. Damit konnte er erstmal beginnen mit seinen Leuten, dem Stamm der Toposa, zu arbeiten. In den letzten 16 Jahren ist dort Unglaubliches geschehen. So hat er z.B. erreicht, dass in diesem Gebiet seit der Gründung des Peace Village keine Kampfhandlungen mehr stattgefunden haben und die Leute in Frieden und Freiheit leben können. Von den Entwicklungsaktivitäten ist Kuron-Village ähnlich strukturiert wie die Organisation St. Vincent de Paul in Juba.
Unser Vereinsobmann besucht die Projektpartner ein- bis zweimal jährlich, um die Situation vor Ort einzusehen, wo dringende Hilfe benötigt wird… Gelegentlich reisen auch junge Vereinsmitglieder mit. Und hier in Österreich möchte ich den vielen fleißigen Mitgliedern danken, die in vielfältigster Form mitarbeiten. Und z.B. bei den vielen Benefizmärkten, die dem Verein das finanzielle Rückgrat geben. Einen ganz speziellen Dank möchte ich auch an Heini Staudinger für seine großzügige Unterstützung bei der Finanzierung der Farm und der Errichtung des Erntespeichers in Rumbek aussprechen. Ohne diese Zuwendung hätten wir das Farmprojekt kaum umsetzen können.
Hans Rauscher