Auf meiner Weltenwanderung von Österreich nach Neuseeland war ich tausende Kilometer mit den Waldviertler Schuhen unterwegs. Das sind geniale Schuhe. Sie werden in einer kleinen Schuhwerkstatt im Waldviertel, im Norden von Österreich, erzeugt und sie können repariert werden. Einmal bin ich mit einem Paar Waldviertler Schuhen ca. 12.000 Kilometer unterwegs gewesen. Ein Schuhmacher hat alle 2.000 Kilometer eine neue Sohle aufgeklebt und dann konnte ich die Schuhe weiterverwenden.


 Nicht alle Stürme kommen, um dein Leben zu erschüttern. Manche kommen, um dir den Weg frei zu machen. 

Autor unbekannt

Der Chef der Waldviertler Werkstätten Heini Staudinger hat sich in den vergangenen Jahren aktiv an der Mitgestaltung des gesellschaftlichen Wandels beteiligt. Die Schuhwerkstatt wurde in ökologischer Bauweise errichtet, auf dem Dach gibt es eine große

Solaranlage, um die Energie und das Warmwasser für den Betrieb zu erzeugen. Heini Staudinger war Mitbegründer der Regionalwährung „der Waldviertler,“ um regionale Wirtschaftskreisläufe zu stärken. Die Waldviertler Werkstätten und ihr Kunden- und Freundeskreis fördern Sozial- und Umweltprojekte in Europa und Afrika.

In der Finanzierung ging das Unternehmen auch innovative Wege. Kunden konnten sich am Unternehmen oder am Ausbau der Solaranlage finanziell beteiligen und sich die Zinsen dafür in bar oder in Form von Schuhen oder Möbel auszahlen lassen. Dieses Finanzierungsmodell half das Bankenmonopol zu untergraben, was die Finanzmarktaufsicht in Wien auf den Plan rief einzuschreiten.

Heini Staudinger wollte eine Rechtsgrundlage erreichen, die Kleinanlegermodelle außerhalb der Bankenwelt möglich macht. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, wanderte ich zusammen mit einer Gruppe von Freunden und Unternehmern von der Schuhwerkstatt nach Wien. Dort sollte eine Kundgebung vor dem Parlament stattfinden. Als wir nach tagelangem unterwegs Sein in Wien eintrafen, betraten wir im Rahmen der offiziellen Öffnungszeiten das Gebäude der Finanzmarktaufsicht, um den Mitarbeitern mitzuteilen, dass es eine Kundgebung für eine Gesetzesnovelle vor dem Parlament geben würde. Da diese Änderungen auch die Finanzmarktaufsicht betrafen und vielleicht den einen oder anderen Mitarbeiter interessierten, luden wir sie dazu ein. Der Wachmann vom Dienst fand das aber überhaupt nicht lustig und begegnete uns sogleich mit Aggression. Wir erkannten, dass unsere Präsenz nicht dienlich war und verließen die Eingangshalle der Finanzmarktaufsicht.

Auf dem Weg zum Parlament beobachtete ich viele Polizeiautos und dachte: „Wen die wohl suchen?“ Als wir den Innenhof des Wiener Rathauses durchquert hatten und wieder auf die Straße hinaus traten, wusste ich es: Sechs Streifenwagen rasten auf uns zu und bewaffnete Polizisten der Wiener Anti Terroreinheit WEGA stürmten uns entgegen. Wir wurden an die Wand gestellt und es entstand eine skurrile Situation. Ich konnte mich der Frage nicht erwehren, warum sie den einschritten? Die Antwort war verblüffend: „Wir schreiten wegen ihrem Wanderstock ein, weil sich der Sicherheitsbeamte der Finanzmarktaufsicht durch ihren Wanderstock bedroht gefühlt hat.“ Ich war so verdutzt und begann laut zu lachen, nicht über die WEGA, sondern weil die Geschichte schlichtweg verrückt war.

Auf der langen Tour hatte ich meinen Wanderstock mit dabei und ich nahm diesen natürlich auch in das Foyer der Finanzmarktaufsichtmit. Ich trug einen schweren Rucksack und während des Gesprächs mit dem Wachmann habe ich mich auf den Wanderstock gestützt, weil ich vom Gehen müde war. Der Sicherheitsbeamte hatte wohl nicht Angst vor meinem Stock, sondern vor unserer Präsenz, die nach mehreren Tagen des zu Fuß unterwegs Seins kraftvoll war.

Die Polizei nahm unsere Personalien auf und ich fragte, ob ich das Spektakel fotografieren durfte. Nach dem Polizeieinsatz gingen wir weiter zum Parlament. Dort war bereits die Presse und eine große Menschenmenge versammelt. Heini Staudinger, der Chef der Schuhwerkstatt, bat mich von unserer Wanderung zu erzählen. Ich war noch vom Einsatz der WEGA verstört und hielt meine Rede. Es war der 7. Dezember 2012 und einen Tag vorher wurde in Österreich Nikolaustag gefeiert, an dem alljährlich die Nikoläuse mit ihren Nikolausstab durch die Lande ziehen. So meinte ich: „mein Wanderstock wurde gerade eben zur Terrorwaffe erklärt. Nikoläuse passt nächstes Jahr auf, wenn ihr mit eurem Stab herumwandert.“ Ich wollte der ganzen Sache einen gewissen Witz verleihen und mit dem Humor gleichzeitig die Erlebnisse verarbeiten. Die versammelte Presse nahm die Geschichte dankbar auf, interpretierte meine Worte jedoch abgewandelt und schrieb in den Medien: „Wie wäre es wohl dem Nikolaus ergangen, wenn er die Finanzmarktaufsicht betreten hätte?“ Diese Frage war kurz darauf in fast allen österreichischen Zeitungen zu lesen und somit eine kleine Katastrophe für die Finanzmarktaufsicht. Diese schlug auch sogleich zurück: „Der Weltenwanderer lügt, es war gar nicht die WEGA, die eingeschritten ist.“ Ich hatte allerdings ein Foto vom WEGA Einsatz noch auf meiner Speicherkarte und auf der Kleidung der Polizisten war „WEGA“ aufgedruckt. Wir nahmen dieses Bild und schickten es mit dem Vermerk „Wo WEGA d’rauf steht, ist wohl auch WEGA d’rin?“ an die Presse. Das von uns veröffentlichte Foto brachte die ganze Situation noch mehr zum Kochen und die Lage spitzte sich zu.

Einer in der Gruppe brachte uns alle zum Lachen: „Das ist das wahre Gleichgewicht des Steckens.“ In Anlehnung an den von George W. Bush ausgerufenen Antiterror Einsatz der US-Armee, der unter dem Namen „das Gleichgewicht des Schreckens“ gelaufen ist. In unserem Fall handelt es sich um die Terrorwaffe Wanderstock, im österreichischen Dialekt, der Stecken, deswegen riefen wir Jahre nach Georg W. Bush, das Gleichgewicht des Steckens, aus. Trotzdem bestand die Gefahr, dass die Lage aus dem Ruder lief.

Neben mir saß mein Freund Martin Weber und er fragte mich: „Was bringt das alles? Was bringt der Kampf?“ Ich hatte keine Antwort und begann langsam zu erkennen, dass Kampf sinnlos war! Ich brauchte allerdings noch Zeit, um daraus auszusteigen. Einige Tage später lud ich den Pressesprecher der Finanzmarktaufsicht zum Mittagessen ein und wir vereinbarten, dass wir das gegenseitige Hickhack beenden wollten. Wir freundeten uns sogar an. Was für ein großes Geschenk!

Jahre später war ich mit einem hohen Kriminalbeamten der deutschen Bundespolizei auf einer Reise in Patagonien unterwegs. Er erzählte mir, dass er einige gute Freunde bei der WEGA hatte und sie gerne zusammen feierten, wenn sie sich begegneten. So wurden für mich die Antiterror Polizisten, die mich damals an die Wand gestellt hatten, endgültig zu ganz normalen Menschen, die auch gerne feierten und das Leben genossen, wenn sie nicht gerade den Weltenwanderer jagten. Jetzt kann ich über die skurrile Situation lachen und bin der WEGA sogar für ihren Einsatz dankbar. Manche gehen in ein buddhistisches Kloster und erkennen dort nach langem Studium, das Kampf nicht zielführend ist. Ich begegnete der WEGA und erlangte diese Erkenntnis ganz ohne langen Klosteraufenthalt.

Mit den Jahren erkannte ich, dass ich viele Facetten in mir trage: Was ich ablehne, bin ich selbst. Mit wem ich in Widerstand gehe, das stärke ich. Der effizienteste Weg, um etwas zu unterstützen, ist es, damit in Widerstand zu gehen.

Mittlerweile diskutiere ich nur mehr in den seltensten Fällen. Ich verwende kaum mehr Energie, um jemanden zu überzeugen. Ich brauche mich nicht zu rechtfertigen. Ich bin, der ich bin und das genügt. Ich begegne dem anderen nicht im Wettbewerb sondern in einer gleichwertigen Co-Kreation. Daraus entsteht der Zauber und selbst wenn der andere dazu nicht bereit ist, ist das für mich auch völlig in Ordnung ...



Bundesländer: Niederösterreich, Wien Kategorien: Philosophie