Bei uns steht in Kürze ein Umzug an. Diese Gelegenheit nutzen wir, um uns bei vielen Gegenständen zu fragen, ob sie uns in unsere neue Lebensphase begleiten sollen. Schon auf der praktischen Ebene sind die daraus resultierenden Ausräumaktionen anstrengend. Mehr noch treiben mich die aus der Tiefe aufsteigenden Fragen um: Woran hänge ich? Welcher Besitz, welche Dinge haften an mir an und weshalb? Umgekehrt: Was erleichtert mir das Loslassen? Unter welchen Umständen kann ich mich leichter von mir liebgewordenen Dingen trennen? Am meisten belasten mich die unumgänglichen Fahrten zum Wertstoffhof. Schon der Begriff ist ein einziger Euphemismus. Es ist nichts anderes als ein riesiger Müllplatz, nur mit der Besonderheit, dass wir unseren Wohlstandsmüll dort feinsäuberlich auseinandersortieren und uns dann weniger mies fühlen, als wenn wir ihn unmittelbar auf einem Schuttberg aufhäuften. Allein die mittelgroße Stadt Nürnberg betreibt sechs solcher Recyclinghöfe und Tag für Tag kippen Bürgerinnen und Bürger dort ihr überschüssiges Zeug in gigantische Container. Haben wir völlig den Verstand verloren? Dieses Wegwerfen ist für mich die schwierigste Art, mich von etwas zu trennen. So versuche ich noch bewusster als bisher, möglichst wenig neu anzuschaffen, um diesen Konsumwahnsinn nicht noch mehr zu befördern. Wesentlich leichter fällt es mir, mich von Dingen zu trennen, wenn ich weiß, dass andere sie brauchen können. Eine Freundin sieht in einem meiner früheren Lieblingskleider hinreißend aus, ein Passant nimmt gleich den ganzen Karton mit dem Tassen-Sammelsurium mit, den ich vor die Haustür gestellt habe, eine Nachbarin erfreut sich an meinen Terrakottatöpfen. Die Dinge behalten ihren Wert, und ich merke, dass es mir nicht darum geht, sie selbst besitzen zu müssen. Hauptsache, sie werden weiter genutzt. Eine besondere Herausforderung wartet im Keller auf mich: Dort stehen bis an den Rand gefüllte Kisten mit Unterlagen aus meinem Qualifizierungsweg und Arbeitsleben. Da ich jahrzehntelang mit Klarsichthüllen und Overheadfolien gearbeitet habe, kann ich nicht einfach alles im Altpapier entsorgen, sondern muss Ordner für Ordner durchforsten, um Papier und Plastik voneinander zu trennen. Im Zeitraffer fliegt mein beruflicher Werdegang an mir vorbei und die Situation hat Potenzial, mich auch psychisch in den Keller zu schicken: Wozu die ganze Anstrengung? Was bleibt von all dem? Was hat es gebracht? Erst mit etwas Distanz und bei Licht betrachtet wird mir klar: Auch wenn meine akribischen Aufzeichnungen ihren Wert verloren haben, so war doch nichts von der hineingesteckten Energie vergeudet. Jede Seite, jede Zeile ist ein Mosaiksteinchen auf meinem Bildungs- und Berufsweg und als solches für mich von Bedeutung. Mitten in diese Überlegungen hinein zeigt mir das Leben gänzlich unerwartet, dass meine Mühe auch für andere einen Sinn hatte: Ohne äußeren Anlass meldet sich ein älterer Herr bei mir, mit dem ich vor über zehn Jahren in einem Spieleprojekt für Senioren zu tun hatte. Er wollte mich nur wissen lassen, schrieb er, dass seine Frau und er die von mir mitentwickelten Spiele mit großer Freude noch immer fast täglich spielten. Den zu diesem Projekt gehörigen Ordner entsorge ich nun in Leichtigkeit und mit einem Lächeln auf den Lippen. Und danke der geistigen Welt für diesen Boten, der mir mit einem Dreizeiler geholfen hat zu unterscheiden: zwischen der vergänglichen Materie und der Essenz, die bleibt.
Claudia Mönius
studierte Sprachen, Wirtschafts- und Kulturraumstudien an der Universität Passau. Sie ist Beraterin und Buchautorin und lebt in Nürnberg. www.mutmacherei.de
Sie schreibt jeden Monat in der Zeitschift info3. Kostenloses Probeheft unter www.info3.de