Birgit haben wir bei der Akkordeonwoche mit Daniel Stratznig, dem Vollblutakkordeonspieler und -lehrer, hier in unserer Schremser Akademie kennengelernt. Birgit erzählte uns damals, dass sie als Freiwilligenhelferin bald nach Lesbos fahren wird, in das Lager Moria 2.0. Birgit ist Heilpraktikerin in Nürnberg.

Nun hat sie uns von ihrem Erlebnis in Moria erzählt. Eine Geschichte von Leid, Not und dem Rettenden, das darin gewachsen ist.

"Jetzt bin ich wieder zuhause, es war eine intensive Zeit mit vielen guten Begegnungen, die Arbeit im Camp hat mir viel Freude gemacht und ist total sinnvoll. Was du, Heini, im neuen GEA-Heftchen als "Scheiße plus X" bezeichnet hast, kann ich durch die Arbeit dort nachvollziehen und passt auf "Earth Medicine" gut!", schreibt sie in ihrem Mail vor ein paar Tagen und noch mehr.....

...Frauen in Seenot. Es macht wütend und traurig...

Am 6.10.22 erschien in den Medien die Nachricht von einem weiteren Bootsunglück mit Migranten, unmittelbar vor der Küste von Lesbos. Von 40 Asylsuchenden, überwiegend Frauen, konnten nur 9 gerettet werden, einige wurden tot geborgen, alle anderen gelten nach wie vor als vermisst. Das Meer war in dieser Nacht sehr stürmisch - das sind die Nächte, die von Schleppern gerne genutzt werden, um die Menschen, die nach wie vor keinen sicheren Weg wählen können, um Krieg, Verfolgung und Elend hinter sich zu lassen, in überladene Schlauchboote zu setzen und über den Golf von Edremit von der Türkei nach Europa zu schicken, weil dann weniger Boote der Küstenwache unterwegs sind.

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Wir sitzen gerade beim Frühstück, als wir von dem Unglück erfahren, sind erschüttert, tieftraurig und auch wütend über die Politik, die so viele Menschen ertrinken lässt. Menschen, die nur von ihrem völlig legalen Recht auf Asyl Gebrauch machen wollen! In diesen Tagen arbeite ich im Camp Moria 2.0 für die NGO „Earth Medicine“, nur wenige hundert Meter von der Unglückstelle entfernt. Hier finden die Geflüchteten, die den Weg übers Meer geschafft haben, in Containern oder Zelten eine vorübergehende Bleibe. Momentan leben „nur“ ca. 1700 Menschen hier, manche für Monate, andere für Jahre. Die meisten stammen aus Afghanistan, zunehmend kommen Asylsuchende aus Somalia oder anderen afrikanischen Staaten an.

Das Team von „Earth Medicine“ besteht aus Therapeut*innen der Richtungen Physiotherapie, Akupunktur und Homöopathie. Gründerin dieser NGO ist Fabiola Velasquez, eine chilenische Physiotherapeutin. (Du kannst Fabiola weiter oben auf dem Titelbild - und zwar rechts im Bild - bei ihrer physiotherapeutischen Arbeit in Lesbos sehen) Seit 2019 kümmert sie sich um die Geflüchteten auf der Insel, zunächst vor allem um die Rehabilitation von Menschen mit Kriegsverletzungen, Prothesen, Bewegungseinschränkungen und natürlich auch Schmerzen. Nach und nach kamen auch andere Therapierichtungen dazu, mittlerweile sind in ihrem Container gleichzeitig immer mehrere Behandler*innen aktiv.

Ein bunter Container - Mutter Erde gibt allen Medizin und Schutz

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Birgit vor und Mutter Erde -gemalt- auf dem Container von "Earth Medicine"

Dieser einladend bunt bemalte Container ist für die Bewohner*innen des Camps leicht zu erreichen. Viele der Patient*innen kommen mehrmals pro Woche: Die Beschwerden, unter denen sie leiden, reichen von Schmerzen verschiedenster Art, Magenproblemen, Bluthochdruck und Schlafstörungen bis hin zu Depressionen oder Ängsten, vieles davon ist auf den oft jahrelang anhaltenden Stress und traumatische Erfahrungen körperlicher und seelischer Art zurückzuführen. Sie bekommen hier professionelle Behandlungen, wenn nötig Aufbaupräparate und nicht zuletzt einfach Zuwendung und das Gefühl, willkommen zu sein.

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Liebgewonnene Klient*innen - Birgit hat zugehört und von vielen schweren Schicksalen erfahren.

Alleine mit den Kindern

Eine der Patientinnen ist Fatma*, eine Afghanin, die mit ihren drei Kindern seit 7 Monaten im Lager darauf wartet, wie es weitergeht. Ihr Mann wurde von den Taliban getötet, alleine mit den Kindern hätte sie in ihrer Heimat nicht überleben können. Mit Hilfe eines Übersetzers befrage ich Fatma und beginne die Behandlung mit einem geeigneten homöopathischen Mittel. Noch ist zwar kein Ende ihres Wartens und der Ungewissheit in Sicht, aber nach einer Woche berichtet sie dennoch von ersten Verbesserungen ihrer Kopfschmerzen, der Alpträume und der Verdauungsprobleme.

Ein weiter Weg, trotz Lähmungen

Auch die junge Somali Asia* kommt täglich zur Behandlung: Sie hat trotz teilweiser Lähmungen durch einen Schlaganfall den weiten Weg bis Lesbos geschafft. Die Kommunikation mit ihr ist schwierig, bislang kann sie noch nichts von ihrer Geschichte erzählen, doch sie macht geduldig ihre physiotherapeutischen Übungen, vertraut sich der Akupunkteurin an und freut sich über die kleinen Fortschritte ihrer Beweglichkeit. Sie wird noch viele weitere Wochen brauchen …

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Hier wird zugehört, behandelt und Trost gespendet, das Innenleben des Containers.

Neben dem Behandlungscontainer im Lager gibt es auch in Mytilini, der nahegelegenen Hauptstadt der Insel, eine Praxis von „Earth Medicine“. Gerade in der Hitze des Sommers und der Kälte im Winter bestehen dort bessere Bedingungen für die Behandlungen, v. a. mehr Platz und auch Geräte für Übungen. Die Patienten werden in einem (auch rollstuhlgerechten) Auto abgeholt und wieder zurückgebracht, in der Wartezeit gibt es sogar Frühstück oder ein nahrhaftes Mittagessen.

Permanente Unsicherheit

Diese Betreuung braucht einiges an Ressourcen, auch wenn alle Therapeut*innen ehrenamtlich arbeiten. Fabiola Velasquez finanziert ihre Arbeit ausschließlich über Spendengelder, was eine permanente Unsicherheit schafft – gerade in letzter Zeit sind die Einnahmen durch Spenden stark zurückgegangen, zu viele Krisen überall.

Zwischen Not und Widerstandskraft
Ich erfahre in diesen Wochen der Arbeit vor Ort von vielen schweren Schicksalen, kriege die Not, die Unsicherheit der Menschen mit, erlebe aber bei ihnen auch viel Widerstandskraft und sehr viel Geduld. Oft kann ich auch etwas von ihrer Hoffnung spüren, irgendwann einmal an einem für sie und ihre Kinder sicheren Ort anzukommen.
Immerhin haben sie es ja schon bis hierher geschafft, gehören sie zu den Überlebenden!

Weitere Informationen zu dem Projekt finden Sie auf www.theearthmedicine.com

Einer der Unterstützer von Earth Medicine ist Space-Eye e.V., eine gemeinnützige Nichtregierungsorganisation (NGO) aus Regensburg. Unter dem Dach von Space-Eye hat sich ein interdisziplinäres Team engagierter Therapeut*innen zusammengeschlossen, das als Space-Eye Health Network auf Lesbos für Earth Medicine im Einsatz ist.

Wenn du die wertvolle Arbeit von Fabiola und ihrem Team unterstützen magst, spende doch bitte an:

Space-Eye e.V.
Volksbank Raiffeisenbank Regensburg- Schwandorf eG
DE53 7509 0000 0001 0491 51

Betreff (unbedingt angeben): Health

Birgit Atzl,
Heilpraktikerin / Klassische Homöopathie
Nürnberg – D

*Namen geändert



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